In ca. 1,5Jahren ziehe ich ins Wohnprojekt Wien. Hier war ich Mitbegründerin und bin nun nur mehr "einfaches Mitglied". Gemeinsam haben wir ein Haus geplant, wichtige Entscheidungen von vorn bis hinten durchdiskutiert. Das Haus wird nun gebaut. 38 Wohneinheiten. 50 Erwachsene. 30 Kinder. "Ach, so eine Hippikommune." Denkt man.
Und das Haus? Wahrscheinlich aus Stroh, die Wände krumm und schief, jede Etage eine andere Farbe. Eine Villa Kunterbunt quasi.
Pustekuchen. Unser Haus sieht sowas von normal aus, dass mir hin und wieder ganz anders wird. Denn war ich es nicht, die immer davon träumte, in einem Haus aus Lehm, Stroh oder gar Autoreifen zu wohnen? In einem Earthship irgendwo in der Pampa? Wo keine Wand gerade, kein Winkel rechts und kein Boden eben ist. Und jetzt das.
Wer nun aber die Gegend sieht, in der das Gebäude entsteht, dieses normale, konventionelle. Der glaubt wirklich nicht mehr, dass ich ich bin. Denn da stehen quadratisch, praktisch und gut die Häuser Kante an Kante, umringen einen Park, der eher ein wohlgewinkeltes Stück Grün ist, mit Bäumen, die noch so jungfräulich und zart erscheinen, dass man Angst hat, sie würden beim nächsten Windhauch erschöpft und laut seufzend zu Boden knicken. Von Schatten ganz zu schweigen. Ein Geflecht aus Kränen überdeckt das Areal, denn das, was dort steht, ist noch nicht alles. Ein Block nach dem anderen schießt aus dem Boden. Und ich kann mir nicht helfen, aber jedes Mal, wenn ich dort hinkomme, um den Baufortschritt zu bestaunen, zwicken mich Erinnerungen von 1986. Als wir in die Plattensiedlung zogen. Jaja, genau so, wie man sich das vorstellt. Damals im Osten. Platte an Platte, dazwischen wenig befahrene Straßen, penibel gekürzte Grünflächen, eine Kaufhalle, eine Schule oder zwei, ein Kindergarten. Perfekt erschlossen. Grau und Fad.
Grau und Fad? Das war es eigentlich nicht. Das ist es eher in der Erinnerung, die ich jahrelang pflichtbewusst als Ossi mit mir herumgetragen habe. Denn das haben alle von uns geglaubt und ich habe mich wenig damit auseinandergesetzt. Nein. Es war fein. Meine Freundin wohnte 3 Etagen über mir und wir haben uns nach einem gemeinsamen Tag von Balkon zu Balkon zugewunken. In der Schule war ich in 2 Minuten. Hinter unserem Block war die Stadt zu Ende, nur noch Felder und ein Schweinestall. Bei guter Windlage also etwas Landluft im Kinderzimmer. Im Haus kannte man Baumanns aus dem 4. Stock, die doofen Drews aus dem 2. Stock, bei denen Er doch sicher bei der Stasi war und auch sonst waren alle Namen geläufig. Man feierte und grüßte sich die ersten Jahre freundlich, bis man bemerkte, dass man Hinz und Kunz eigentlich gar nicht leiden konnte. Das gehört dazu.
Das wird uns auch im Wohnprojekt nicht erspart bleiben. Auch wenn wir die 50 Mitglieder bewusst gewählt haben, so kann ich wohl ungelogen sagen, dass es mittlerweile gewisse Sympathien gibt. Und die weniger gewissen. Das ist auch ok. Würden wir uns alle ständig in den Armen liegen, lieb haben und im Kreis tanzen, wären wir die Kommune, die wir nicht sein wollen. Und nicht sind.
Und dass auch hier die Schule unserem Block gegenüber liegt, freut mich nun als Mutter. Ein Hofer nebenan. Und die Bäume im Park, die werden in ein paar Jahren so grün und buschig sein, wie die im Stadtfeld damals, zwischen unserem Block, der Großen Dammstraße und der Schule.
So eine Wohnung ist auch nur so schön, wie man sie sich selbst gestaltet. Das hat wenig mit der Gegend zu tun. Was habe ich vom Charakter und der Schiefe eines Altbaus, wenn mein Nachbar nachts vor unserer Wohnungstür raucht, die Frau Dr. Dr. von gegenüber bis morgens um 4Uhr bei Festbeleuchtung in unser Schlafzimmer strahlend arbeitet und ich im Winter den Dachboden beheize? Dann lieber rechte Winkel und einen Balkon. Oder zwei - einen für die Kinder, versteht sich.
Ohje. Also doch Spießer. Tja. Das liegt nun am Blickwinkel des Betrachters. Ich jedenfalls bin ich. Und ich freue mich, auf ein wenig Rückkehr in den Osten.