Monday, December 3, 2012

Simplicity #1 - Ein Anfang

Als wir vor 4 Jahren von Schottland nach Wien übersiedelten zählten wir elf 30kg schwere Kisten unser Eigentum. Da es in Großbritannien normal ist, dass die Wohnungen möbliert vermietet werden, hatten wir uns nichts Großes oder Sperriges angeschafft.
In Wien waren zum Glück grundlegende Einrichtungsgegenstände wie Küche, Bad und Bett bereits in der Wohnung vorhanden. Das passiert schon mal, wenn man innerhalb der Familie weitervermietet. Dennoch war natürlich die Freude da, sich jetzt endlich mal eigene und vor allem: dem eigenen Geschmack entsprechende Möbel anzuschaffen. Und auch sonst kleine feine Dinge. Denn schließlich waren wir ja gekommen um zu bleiben.

Als ich dann vor 3 Jahren hochschwanger in der Wohnung saß und mich umschaute, erschlug es mich fast. Wo war er hin, der großzügige Altbau mit seinen hohen und weiten Räumen? Die Ruhe und Weite, die ich in den kleinen Schachtelwohnungen in Schottland so vermisst hatte?
Plötzlich war alles verstellt und zugeräumt.
Natürlich nahmen die neuen Notwendigkeiten wie Wickelkommode oder Stubenwagen viel Platz ein. Aber auch sonst war einfach so viel eingezogen, dass mir fast der Atem stockte.

Gleichzeitig folgte ich damals dem Blog von The Good Human, der nebenher ein neues Projekt begann: The simple organized life. Und in nullkommanix war ich besessen von dem Gedanken, mit weniger besser - oder zumindest genauso gut leben zu können. Und so begann ich immer öfter und immer eifriger, wenn ich allein daheim saß, zu schauen, wovon ich mich trennen könnte. Was brauchte ich wirklich? Und was war nur Ballast? Staubfänger? Und das trennen gelang mir. Mal mehr. Mal weniger.

Gestern also, 3 Jahre später, stand ich im Wohnzimmer und schaute mich um. Eine gewisse Ruhe starrte zurück. Eine Ruhe, die ich so ungefähr immer gesucht hatte, wenn ich mich von all dem herumstehenden und herumstaubenden Ballast versuchen wollte zu befreien. Was hatte ich getan?

Möbel
Wie gesagt zieht mit so einem Kind mehr ein, als aus. Das ist klar. Aber genauso gut ist ein Kind eine sehr gute Möglichkeit festzustellen, was man selbst im Leben wirklich braucht. Das ist oft wesentlich weniger, als man glaubt. Da aus dem Gästezimmer ein Kinderzimmer wurde, standen plötzlich 2 Sofas in unserem Wohnzimmer. Was vorher sooo groß und geräumig war. Also trennten wir uns von einem gänzlich. Als unser Sohn laufen lernte und andere Dimensionen erreichte, dabei allerdings den von uns vorsorglich angebrachten Kantenschutz eher abkaute als tapsig zu umschiffen, wanderte auch der Couchtisch aus dem Zimmer. Das war natürlich eine Umstellung. Wo stellt man Kaffee, ein Glas Wein und all die Bücher, Zeitschriften, Schokolade und sonstiges, was auf so einem Tisch lebt, plötzlich hin?
Nun - die Erkenntnis war schnell da: Wo nichts zum Ablegen ist, liegt auch nichts rum.
Wir verwendeten für das abendliche Glas Wein das Schaukelpferd, das ebenfalls im Wohnzimmer wohnte. Bücher und Zeitschriften wandern abends in das Regal, aus dem sie kommen. Schokolade wird aufgegessen oder wandert zurück in den Kühlschrank.



Pflanzen

Ich liebe Pflanzen. Ich liebe sie neu zu setzen, großzuziehen und zu pflegen. So suchte ich damals aus allen Ecken Pflanzen und Töpfe herbei. Bis es mich eines Tages erschlug. Pflanzen standen überall und verstellten die Fensterbänke und auch sonst jede freie Fläche im Raum. Mehr noch - ihre kunterbunte Auswahl an Übertopfen strahlte eine Unruhe aus, die mir erst jetzt auffiel. Also plünderte ich den nächstbesten Blumenhändler und kaufte ihm alle weinroten Übertöpfe der selben Sorte ab. Obendrein half mir wieder das Kind und sein Entdeckerwahn - ich trennte mich von allen Pflanzen, die zu sehr mit den (nicht vorhandenen) Lichtverhältnissen unserer Wohnung kämpften. Nun stehen nur mehr wenige von ihnen herum, diese strahlen aber in ihrer weinrot-grün Kombination Wärme und Ruhe aus.


Musik / Fotos / Bücher
Mich von Büchern, Musik und Fotos zu trennen habe ich bereits in Schottland kurz vor unserem Umzug lieben gelernt. Bis dato hatte ich immer alle Bücher aufgehoben. Aber plötzlich begann ich die, die ich nicht mochte oder sowieso nie wieder lesen würde, auszusortieren. Von allen könnte ich mich nie trennen, aber alle, die ich mal gekauft oder geschenkt bekommen habe, aufzuheben, scheint mir absolut unnötig.
E-books und E-reader waren mir lange ein Dorn im Auge. Bis ich feststellte, dass man darüber ja die Bücher, die man gern mal lesen, aber nicht unbedingt im Schrank stehen haben muss, beziehen kann. So räumt man sie nicht erst in die Wohnung und dann wieder aus.
Der Liebste liest gern "Die Zeit". Aber das Abo machte mich wahnsinnig. Diese riesige Zeitung lag einfach überall herum. Artikel wurden aufgehoben, aber nie wieder gelesen. Der Kindle war dafür die Erlösung. Denn mit ihm kann man nicht nur Bücher, sondern auch Zeitschriften lesen.

CDs liegen bei uns tief im Schrank vergaben. Neben DVDs. Wir hören Musik fast ausschließlich über unsere Laptops. So schauen wir auch Filme. Fernseher gibt es keinen. Also habe ich viele CDs einfach weggegeben. Nur die, die in einer besonderen Hülle, vorzugsweise nicht aus Plastik mit einem aufwändig gestalteten Cover, veröffentlicht wurden, werden aufgehoben. Aber den Stapel an Plastik, den eine Musiksammlung heutzutage mit sich bringt, finde ich unerträglich. Mittlerweile habe ich dem auch mein Musik-Kaufverhalten angepasst. Plastikhüllen CDs lade ich mir lieber auf itunes herunter. Nur wirklich hochwertige Alben kaufe ich mir, vorzugsweise sogar auf Vinyl.

Fotos waren immer etwas, was man auf gar keinen Fall wegwerfen kann. Bis ich bemerkte, dass ich Fotos aufhob, die Bauchschmerzen auslösten. Aus Zeiten, an die ich mich gar nicht soooo gern erinnerte. Oder an Menschen, die lange nicht mehr Teil meines jetzigen Lebens waren. Aus Gründen. Und so begann ich großzügig unangenehme Gefühle in die Tonne zu werfen. Es war eine unglaubliche Erleichterung. Heute besitze ich noch genau einen Schuhkarton mit Fotos. Alles was danach kam, ist digital und bleibt es auch. Für unseren Sohn drucken wir für jedes Lebensjahr ein Buch mit den besten Fotos aus diesem Jahr. Der Rest wandert in die iphoto Library und ins Backup. Und ins Backup vom Backup. Für den Fall der Fälle.

Klimbim
Ich war früher ein Fan von Kerzenständern aller Art. Abends konnten gar nicht genug Kerzen flackern. Wieder etwas, was sich mit Kind wunderbar ändern lässt. Denn das sind alles Dinge, die Kinder spannend finden und wir mühsam hinterherzulaufen. Kurzerhand habe ich mich von allem staubfangendem Klimbim getrennt. Einzig unsere Hochzeitskerze und die Weihnachtslaterne aus der Krippe vom Sohn stehen auf dem Schrank. Auch hier wurde klar: weniger ist mehr. Viele Kerzen strahlen nicht zwingend mehr Ruhe aus.

All das geschah nicht in einer Woche oder einem Monat. Es war ein langer Anfang, der sich bisher nur auf unser Wohnzimmer bezieht. Natürlich hat sich auch in den anderen Räumen etwas getan. Aber mehr noch - es hat sich in mir viel getan. Denn mit jeder Überlegung, sich von etwas zu trennen, beschäftigt man sich mit der Frage: Wer bin ich und was brauche ich? So findet man viel mehr zu sich selbst. Und seiner eigenen Ruhe. Aber das ist ein Blogpost für sich.